Der Einfluss von Luftfeuchtigkeit und Temperatur auf die Erhaltung von Kulturgut

web-Version Mai 2015

1.1 Der Einfluss der relativen Luftfeuchtigkeit (rF) auf die Erhaltung von Kulturgut

Viele Schädigungsmechanismen von Kulturgut hängen mit der relativen Luftfeuchtigkeit (= rF) zusammen. Beschränkt man die Betrachtungen ausschließlich auf die rF, ergibt sich stark vereinfacht Graphik 1 (nach Erhard 1994), die im weiteren näher kommentiert werden soll:

Biologische Zersetzung: Schimmel wächst nur bei hoher rF. Ob es zu Schimmelwachstum kommt, hängt allerdings weniger von der rF ab als vom Wassergehalt im Substrat, der je nach Material unterschiedlich sein kann. Hier ist 60% rF als Untergrenze für Schimmelwachstum angegeben, da zumindest bei 25°C eine rF von 61% (bzw. Wasseraktivität von 0.61) als unterste Grenze für Schimmelwachstum gilt (Scott 1994). Dies betrifft außerdem nur einige wenige Spezies, die bei 60-65%rF sehr langsam wachsen.  

Graphik 2: Ab welcher Luftfeuchtigkeit kann Schimmel weiter wachsen? aus: Michalski 1993

Buchmaterialien: 1 Spezies 

Nährstoffreiche Kultur: viele Spezies

Bei diesen Untersuchungen versuchte man, auf verschiedenen Nährböden und bei verschiedenen Temperaturen Schimmel wachsen zu lassen. Es zeigte sich, dass normalerweise Luftfeuchtigkeiten um 70% rF notwendig sind, damit ein vorhandener Schimmelbefall sich weiter ausbreiten kann  - bei niedrigen Temperaturen sogar eine noch höhere Luftfeuchtigkeit. Damit Schimmelsporen überhaupt auskeimen können, ist kurzzeitig ein noch feuchteres Klima notwendig.

Zellulose: Die Hydrolyse, also die Spaltung von Zellulose in ihre Einzelbausteine, findet ebenso verstärkt bei höherer rF statt. Ab 60 - 65% rF nimmt die Zersetzungsgeschwindigkeit stark zu. Bei sehr niedriger rF kommt es allerdings zu einer Vernetzung der Zellulosefasern, der Wasserfilm auf der Faseroberfläche wird dann so dünn, dass die Fasern miteinander reagieren können. Oberhalb von 25% rF sollte der Wasserfilm in der Lage sein, diese Vernetzungsreaktion zu unterbinden. Der empfehlenswerte Bereich für Zellulose ist also von zwei unterschiedlichen Reaktionsmechanismen begrenzt. Der obere Wert 50% rF ist etwas willkürlich festgelegt, denn auch unterhalb von 50% findet noch Hydrolyse statt: So ist z.B. Papier bei 25% rF aufbewahrt chemisch gesehen etwa doppelt so lange haltbar wie bei 50% rF (Wilson 1993). Auch die Empfindlichkeit von Zellulose gegenüber Licht und Schadstoffen nimmt mit sinkender rF ab (vgl. Wilhelm 1993, p. 563f).

Proteine: Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Proteinen wie Leder oder Pergament. Auch hier wird das Eiweiß bei höherer rF ähnlich wie bei der Gelatineproduktion in kleinere Bausteine gespalten. Der empfehlenswerte Bereich ist mit 25 - 40% rF angegeben, aber auch hier verlangsamt sich der Prozess unterhalb von 40% rF noch weiter. Bei niedriger rF - hier mit unterhalb 25% rF angegeben - trocknet das Leder aus: es kommt es zu einer irreversiblen Verhärtung , d.h. das Leder kann danach nicht mehr so viel Wasser einlagern. Erhard gibt die - chemisch gesehen - optimale rF zur Konservierung von Leder mit 30% rF an.

Metalle: Allen Metallen ist gemeinsam, dass sie unbegrenzt trocken gelagert werden können. Die zulässigen Obergrenzen sind für die einzelnen Metalle allerdings sehr verschieden. In Graphik 1 ist der Wert 45% rF herausgegriffen, weil die Bronzekrankheit sich erst oberhalb 46% entwickeln kann. Auch Eisen sollte unterhalb der kritischen rF von etwa 50% gelagert werden, damit sich nicht auf der Oberfläche adhärente Feuchte bildet, die zur Oxydation führt (Götz 1996). Zerklüftete Metalloberflächen (geätzt, korrodiert...) sind stärker gefährdet als glatte, polierte Oberflächen, da sich aufgrund von Kapillarkondensation schon  bei niedrigerer Luftfeuchtigkeit ein Wasserfilm bildet als bei polierten Metalloberflächen (Elovitz 1999). Bodenfunde aus Eisen, die evtl. Chloride enthalten können, müssen noch deutlich trockener gehalten werden. Das Anlaufen von Silber verläuft unterhalb 40% rF sehr viel langsamer.

Glas: Manche Gläser mit hohem Alkaliengehalt entwickeln die Glaskrankheit. Natrium und Kaliumionen wandern an die Glasoberfläche, verbinden sich zunächst mit Wasser zu Hydroxyden und dann mit Kohlendioxyd zu Karbonaten. Diese stark alkalischen Substanzen lagern bei entsprechender Luftfeuchtigkeit Wasser ein und lassen stark alkalische Lösungströpfchen entstehen, die in der Lage sind, die Silikatstruktur des Glases anzugreifen, wodurch der Zerfallsprozess fortschreitet.
Als sicherer Bereich ist hier nur 0 - 5% rF angegeben, da die Hydroxide von Natrium und Kalium schon bei 5-6% rF alkalische Lösungen bilden. Richtig ist auf jeden Fall, dass fabrikfrisches Glas unbegrenzt trocken aufbewahrt werden kann und sich dann auch keine Glaskrankheit ausbildet. Als oberster akzeptabler Wert ist hier 45% rF angegeben, da Kaliumkarbonat oberhalb 45% rF Wasser, was allerdings nicht mehr unbedingt dem aktuellen Forschungsstand entspricht:

Bereits glaskranke Gläser können durch das Austrocknen der Gelschicht, die sich auf der Glasoberfläche (aber auch in den feinen, für die Glaskrankheit typischen Rissen) befindet, craquelieren, was u.U. zu einem Zerspringen der Gläser führen kann. Man unterscheidet daher heute zwischen noch wenig angegriffenen Gläsern, die bei etwa 37% bis maximal 40% rF aufbewahrt werden sollten, und andererseits bereits stark geschädigten Gläsern, bei denen die Luftfeuchtigkeit eher oberhalb 45% rF betragen sollte, damit die Struktur nicht weiter versprödet. Ein Hin- und Herpendeln der Luftfeuchtigkeit um den Kristallisationspunkt von Kaliumkarbonat (45% rF) sollte auf jeden Fall vermieden werden, da beim Auskristallisieren hohe Sprengkräfte entstehen. Die rF sollte also entweder konstant über oder konstant unter 45% rF liegen, wobei beides keine Ideallösungen sind sondern ein Abwägen zwischen verschiedenen Schadensmechanismen.

Zu bemerken wäre noch, dass nur ein kleiner Teil der historischen Glasproduktion (Gläser mit fehlerhafter Glaszusammensetzung) überhaupt jemals die Glaskrankheit entwickeln werden. Leider ist dies den Gläsern nicht anzusehen, bevor sich die ersten Symptome der Glaskrankheit zeigen.

Hygroskopische Salze: Materialien wie Stein, Keramik oder Bodenfunde können hygroskopische Salze enthalten, die sich oberhalb einer bestimmten rF verflüssigen. Unterhalb dieses rF-Werts kristallisieren sie wieder aus und können damit Salzsprengungen hervorrufen. Je nachdem, welche Salze enthalten sind, kann dieser kritische rF-Wert sehr unterschiedlich liegen: z.B. bei 45% rF bei Kaliumcarbonat oder bei 32% rF bei Calciumchlorid. Liegen Salzmischungen vor, kann sich der Verflüssigungspunkt erniedrigen.

Hier ist Natriumchlorid (Kochsalz) als wohl das wichtigste Beispiel angegeben, das sich oberhalb 75% rF verflüssigt. Ist Natriumchlorid allerdings in organischen Materialien (Seide) enthalten, beginnt es bereits bei 55% rF Wasser einzulagern. Aus diesm Grund ist in der Graphik 55% rF als Untergrenze angegeben.

Mineralische Hydrate: Betreffen nur mineralogische Sammlungen. Ein spezielles Hydrat ist nur in einem begrenzten rF-Bereich stabil. So existiert Magnesiumsulfat als Mono-, Di-, Tetra , Penta-, Hexa- und Heptahydrat. Es gibt keinen rF-Wert, bei dem alle mineralischen Hydrate stabil sind. Die Mineralien müssen daher gruppiert bei speziellen konstanten rF-Werten aufbewahrt werden (Waller 1984).

Mechanische Schäden: Die Problematik der mechanischen Schäden wird unter Punkt 1.2 - 1.3 weiter diskutiert. Die in der Graphik angegebenen 40-70% rF stellen eine sehr grobe Verallgemeinerung dar und sollen hier stellvertretend dafür stehen, dass auch mechanische Schadensmechanismen eine Rolle spielen.

Insgesamt zeigt Graphik 1 sehr anschaulich, dass kein rF-Bereich für alle Sammlungsgegenstände gleichermaßen geeignet ist: es muss daher häufig ein Kompromiss gefunden werden.

1.1.2 Der Einfluss von Temperatur in Kombination mit rF auf die chemische Stabilität von Kulturgut

Bei den bisherigen Betrachtungen wurde die Temperatur außer Acht gelassen. Die Temperatur spielt jedoch eine sehr wesentliche Rolle bei der chemischen Alterung: niedrige Temperaturen setzen in der Regel die Reaktions- und Diffusionsgeschwindigkeit stark herab. Ein Beispiel für die Anwendung tiefer Temperaturen ist das Einfrieren archäologischer Eisenfunde.

arrh4.gif (4276 Byte) Haltbarkeit von Filmmaterialien

Graphik 3 stellt am Beispiel von Filmmaterialien dar, wie Temperatur und rF sich auf das Alterungsverhalten auswirken:

Sehr feuchtes Klima oberhalb 70-80% rF muss unbedingt vermieden werden, da es die Gelatineschicht klebrig werden lässt und es dadurch zu Schäden kommen kann. Sehr trockenes Klima unterhalb von 20% rF führt zu Schichtentrennung: die Gelatineschicht löst sich dann vom Trägermaterial ab. 

Bei feuchtem und warmem Klima ist die Haltbarkeit von Filmmaterialien sehr gering, bei niedrigen Temperaturen und trockenem Klima kann sie dagegen auf 100 bis über 1000 Jahre ausgedehnt werden. Solche Isoperm-Diagramme zeigen anschaulich, welchen konkreten Nutzen ein kontrolliertes Klima für die Konservierung haben kann. Hier spielen sowohl Temperatur wie rF eine entscheidende Rolle.

(aus: Padfield online)

Filmarchive lagern ihre Bestände daher bevorzugt in Kühlräumen und bei niedriger rF, die Nationalarchive von Kanada bewahren ihre Sammlung z.B. bei -18°C und 25% rF auf (Wilhelm 1993). Bei Temperaturen unter 0°C sind spezielle Phänomene zu beachten (siehe Padfiield online). Zur Gefrierlagerung müssen hygroskopische Exponate durch eine mehrlagige Verpackung geschützt und sehr langsam aufgetaut werden.

Ein ähnliches Bild wie bei Filmmaterialien würde sich bei Zellulose ergeben. Angenommen, ein Papier sei bei 20°C und 50% rF 100 Jahre haltbar, ließe sich die Haltbarkeit auf 1200 Jahre, also auf das Zwölffache verlängern, wenn man es anstatt dessen bei 10°C und 40% rF aufbewahren würde. Bei 30°C und 80% rF läge die Haltbarkeit dagegen nur noch bei 3 Jahren (Sebera).

Zum Vergleich verschiedener Klimabedingungen hinsichtlich ihrer Auswirkung auf das Alterungsverhaltens von Papier kann am ehesten die Taupunkttemperatur herangezogen werden (Vitale & Erhardt 1993, bei Temperaturen zw. 50-90°F (Fahrenheit) und 30-80% rF).

Graphik 4 (Hilbert 1987) Siehe auch Online-Taupunktrechner 

Bei 20°C und 50% rF liegt der Taupunkt  bei 9,3°C,

bei 23°C und 40% rF läge er dagegen bei 8,7°C.

Die letzteren Klimabedingungen dürften sich demnach günstiger auf die Erhaltung von Papier auswirken.

Auch die Schwankungen von Temperatur und rF wirken sich auf die chemische Zersetzung von organischen Substanzen aus. Beschleunigte Alterungstests zeigten, dass Papier bei schwankenden Klimabedingungen rascher zerfällt als bei stabilem Klima. Weit größere Bedeutung haben Klimaschwankungen allerdings in Bezug auf die mechanischen Schädigungen, welche durch das Quell- und Schwindveralten organischer Substanzen verursacht werden. Dieser Punkt soll an späterer Stelle (1.2 - 1.3) betrachtet werden.

Alle diese Untersuchungen zur Quantifizierung der Alterungsstabilität bei bestimmten Klimabedingungen dürfen nicht überbewertet werden. Sie basieren in der Regel auf Rückschlüssen aus beschleunigten Alterungstests bei höheren Temperaturen und können nicht unbedingt auf die natürliche Alterung übertragen werden. Sie geben jedoch die derzeit besten Hinweise auf das Alterungsverhalten der Materialien.

1.1.3. Der Einfluss von rF und Temperatur auf Elastizität und Festigkeit hygroskopischer Materialien

Die Elastizität organischer Materialien, also die Fähigkeit, nach einer Verformung wieder in den Ursprungszustand zurückzukehren, nimmt allgemein bei höherer rF und höherer Temperatur ab. Anders ausgedrückt können mechanische Kräfte bei hoher rF und/oder Temperatur schneller bleibende Deformationen hervorrufen: Gewebe hängen z.B. bei hoher rF leichter aus, da zum einen weniger Kraft zur Dehnung erforderlich ist und zum anderen die Dehnungselastizität bei hoher rF niedriger ist (Ballard 1996). Aus gleichem Grund biegt man Holz, wenn es feucht und warm ist.

Die Elastizität der Materialien ist bei niedriger rF und Temperatur demnach hoch, gleichzeitig nimmt allerdings auch die Sprödigkeit zu. Die Materialien lassen sich nicht mehr so leicht verformen und können bei Verformungen leicht brechen. Ein Beispiel hierfür ist Gummi arabicum, das bei niedriger Temperatur sehr schwach wird. Gouache enthält daher Zusatzstoffe, welche die Schwäche bei niedriger rF und Temperatur vermindern (Toishi 1994). Ein anderes Beispiel sind Acrylfarben, die bei niedriger Temperatur und rF z.B. bei einem Transport im Flugzeug zur Brüchigkeit neigen.

Betrachtet man die Reißfestigkeit, so ist das Verhalten verschiedener Materialien unterschiedlich: Bei Leinen und Baumwolle nimmt die Reißfestigkeit mit steigender rF stark zu (um ca. 60% zwischen 25% und 60% rF), während sie bei Seide, Wolle und Kunstfasern (Nylon, Viskose, Acetat) bei steigender rF abnimmt (Ballard 1996).

Bei Papier hat Wilson den Feuchteeinfluss auf das Alterungsverhalten wie folgt zusammengefasst (Wilson 1993):
Gegenüber einer Lagerung bei 45% rF bietet eine Lagerung bei 30% rF folgende Vorteile:

Die mechanische Festigkeit von Papier nimmt dagegen kaum ab: Die Zug- und Reißfestigkeit  ist bei 30% rF nur etwa 5-10% geringer als bei 45% rF. Die Falzfestigkeit im Falztest nimmt dagegen stärker ab (um 20-50%). Sofern ein Papier nicht bis an die Grenze belastet wird, wirkt sich die maximal zehnprozentige Abnahme der Reißfestigkeit nicht aus. Die Abnahme der Falzfestigkeit kommt nur zum Tragen, wenn das Papier auf Knick beansprucht wird.

Insgesamt erscheint die Archivierung  von Papier bei 30% rF gegenüber einer Lagerung bei 45% rF mehr Vorteile als Nachteile zu bieten. Es wäre demnach in der Regel nicht sinnvoll, bei Papier das Klima künstlich von 30% rF auf 45% rF zu erhöhen.

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